F.A.Z.-Leser helfen : Ein Dachdecker, der Mut macht
- -Aktualisiert am
Zufrieden und glücklich: Horst Sichert und Tedros Ghebrekidan Bild: Patricia Kühfuss
Horst Sichert hat einen Flüchtling aus Eritrea eingestellt. Beide wissen, wie wichtig gute Deutschkenntnisse im Beruf und für die Integration sind. Ein Projekt, für das die Rhein-Main-Zeitung um Spenden bittet, soll gezielt bei der Sprachförderung helfen.
Horst Sichert und Tedros Ghebrekidan Beraki sind zwei Männer, die wohl nie daran gedacht haben, sich eines Tages kennenzulernen. Aber genauso ist es gekommen. Und beide sind mehr als zufrieden damit: Der Dachdeckermeister hat einen engagierten Lehrling bekommen und der eritreische Flüchtling eine gute Perspektive für ein Leben in Deutschland, seiner neuen Heimat.
Im August 2013 kam Beraki nach Deutschland, nach seiner Flucht über das Mittelmeer. Fast 17 Jahre alt war er damals. Wie viele andere minderjährige alleinreisende Flüchtlinge wurde auch er von der Polizei am Frankfurter Hauptbahnhof aufgegriffen. Er kam schließlich in eine Unterkunft in Mörfelden, in der er zwei Jahre lebte.
Sprache „das A und O“ bei der Integration
Mittlerweile ist Beraki 19 Jahre alt. Seine Lehre bei „Sichert Bedachungen“ in Groß-Gerau hat er am 1. September begonnen. Sein 58 Jahre alter Chef ist sichtlich zufrieden mit dem neuen Azubi. Schnell hatte Sichert erkannt, dass Tedros, wie ihn alle im Betrieb nennen, talentiert ist und anpacken kann. „Ich wollte ihn zuerst für ein Jahr als Dachdeckerhelfer einstellen, habe ihm dann aber gleich eine Lehrstelle gegeben“, berichtet Sichert. Und Tedros war an seinem ersten Arbeitstag um 5.45 Uhr in der Früh zur Stelle.
Er kann sich schon einigermaßen auf Deutsch verständigen, gelernt hat er die Sprache in Kursen in der Darmstädter Lernakademie und an der Frankfurter Wilhelm-Merton-Schule. Bei seiner Arbeit klappt der Austausch mit den Kollegen, doch schon bald wird er Unterstützung brauchen, vor allem, um in der Berufsschule mitzukommen. Er besucht die Peter-Behrens-Schule in Darmstadt. Mit dem Fortgang der Ausbildung lernt er immer mehr Fachbegriffe. Sichert und seine Lebensgefährtin Anita Herdt, die Prokuristin des Betriebs, wissen um die Herausforderung, vor der der junge Mann steht, und haben schon einen Antrag bei der Arbeitsagentur auf eine „ausbildungsbegleitende Hilfe“ gestellt, eine Art Nachhilfelehrer.
Christof Riess lobt das Engagement Sicherts und Herdts. Auch der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Frankfurt/Rhein-Main weiß, wie wichtig die Beherrschung der Sprache bei der Integration der Flüchtlinge ist: „Das ist das A und O.“ Und er weiß, dass es beim Lernen enorm hilft, Sprachunterricht mit beruflichen Tätigkeiten zu verknüpfen. So praktiziert es die Kammer zum Beispiel in einem sechsmonatigen Kurs für Flüchtlinge im Berufsbildungszentrum in Bensheim. Ziel ist es, die Teilnehmer, die vor allem aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und Eritrea kommen, an eine Ausbildung heranzuführen.
Das Projekt geht auf jeden individuell ein
Weil gerade das berufsbezogene Deutschlernen Erfolg verspricht, bittet diese Zeitung in diesem Jahr um Spenden für den Aufbau eines speziellen Programms. Dabei sollen von Januar an Sprachförderkräfte geschult werden, so dass sie Flüchtlinge in deren Berufsalltag gezielt unterstützen können. Das Programm heißt „Faberis“, steht für „Fachstelle für berufsintegriertes Sprachlernen“ und richtet sich vor allem an Ausbilder und Anleiter in Betrieben, aber auch an Mitarbeiter von Berufsbildungswerken und freiberuflich tätige Dozenten. Derzeit erarbeiten die beiden Mitarbeiterinnen des Projekts, Meta Cehak-Behrmann und Alessandra Klein, das Curriculum für die Fortbildung, einen wichtigen Baustein für die Förderung von Flüchtlingen.
Die Fortbildung dauert ein halbes Jahr und findet berufsbegleitend statt. Es gibt zehn Workshops und eine praktische Phase, in der Cehak-Behrmann und Klein mit den angehenden Sprachtrainern in Betriebe gehen, um die erworbenen Kenntnisse anzuwenden und aus den Erfahrungen zu lernen. Großen Wert legt das Projekt zum Beispiel darauf, dass auf jeden Flüchtling individuell eingegangen wird, denn jeder bringt beim Erlernen einer neuen Sprache andere Voraussetzungen und Erfahrungen mit.
Sichert und Herdt ermutigen ihrem Beispiel zu folgen
„Ich muss mein Deutsch verbessern“, sagt Azubi Tedros. Manches in der Schule oder im Betrieb versteht er noch nicht auf Anhieb und muss nachfragen – aber das tut er auch. Denn er möchte alles verstehen und setzt einige Erwartungen in die von der Arbeitsagentur gestellten Nachhilfestunden. So wird er auch die Fachsprache Stück für Stück intensiver lernen können, so wie es das Ziel von „Faberis“ ist.
Dachdeckermeister Sichert fände es gut, wenn es mehr Deutschunterricht an den Berufsschulen gäbe. Und die Handwerkskammer überlegt, wie sie ihr in Bensheim erprobtes Konzept der berufsbezogenen Sprachförderung ausbauen kann, und ist dazu mit dem Frankfurter Sozialdezernat im Gespräch. Mit diesem ist auch das „Faberis“-Projekt verbunden.
Sichert und Herdt ermutigen andere Betriebe ausdrücklich, Flüchtlinge einzustellen. Dazu möchten sie auch die nächste Innungsversammlung nutzen. Wem sie von ihrem Schritt berichten, der ist meist überrascht, und sie kennen aus ihrem Umfeld bisher kein Unternehmen, das einen Flüchtling als Mitarbeiter gewonnen hat.
Die Flüchtlinge sind eine Chance für das Handwerk
Sichert sieht angesichts eines mangelnden Interesses deutscher junger Leute an einer Lehrstelle in seinem Handwerk eine wichtige Chance in den Flüchtlingen. „Ich würde im nächsten Jahr wieder einen nehmen“, sagt er. Insgesamt beschäftigt Sichert sieben Gesellen und zwei Auszubildende; im Büro arbeiten drei Kräfte.
Zum Angebot des Unternehmens gehören auch Gerüstbau, Innenausbau und Spenglerarbeiten. Tedros hatte sich bei dem Betrieb im August von sich aus beworben und war damit der Idee Sicherts und Herdts entgegengekommen, einen Flüchtling einzustellen. Als sie sahen, wie engagiert der junge Mann ist, beeilten sie sich, den Lehrvertrag aufzusetzen, damit er am 1.September anfangen konnte. „Wir geben den Leuten eine Chance“, sagt Sichert – und Herdt fügt hinzu: „Wir an ihrer Stelle würden uns auch wünschen, unterstützt zu werden.“